TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Januar 2011

"...mit Leidenschaft und Augenmaß"

Eine (den Autor beglückende) REZENSION
Tom Schimmeck: Am besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmacher, Frankfurt/Main 2010: Westend Verlag, 304 S.

von Siegfried Weischenberg

erschienen in: Die Zeit, 27.1.2011

Vor einigen Jahren publizierte ein Journalist namens Udo Schulze eine Art beruflicher Memoiren. Seine Erfahrungen – nach einer Tournee durch etliche Redaktionen deutscher Medien, darunter Bild und RTL – fasste er in dem Satz zusammen: „Journalismus in Deutschland, das ist der Tummelplatz der Eitelkeiten, der Treffpunkt von Barbaren und Cholerikern, von Kranken und Diktatoren; ein Mekka der Gesetzesbrecher und ein Sammelbecken Asozialer.“ Der Buchtitel „Die Abrechnung“ erwies sich geradezu als Untertreibung. Jahrelange Tätigkeit als Journalist, so durfte man bei der Lektüre lernen, kann Menschen ganz schön verbittern. Kurze Zeit danach legten zwei erfahrene Berliner Journalisten gleichfalls äußerst (selbst-)kritische Beschreibungen der Branche vor, so dass man seither vom neuen Genre einer ‚journalistischen Niedergangs-Literatur’ sprechen kann. So schrieb sich der langjährige RTL-Korrespondent Gerhard Hoffmann seinen Frust über die politische Kommunikation bei der Wahl 2005 in einer dicken Schwarte von der Seele, die er „Die Verschwörung der Journaille zu Berlin“ nannte. Ihm folgte Tissy Bruns – sie beobachtet die Szene für den Berliner Tagespiegel – mit ihrem Report aus der Hauptstadt; sein Titel: „Republik der Wichtigtuer“.

Nun also Tom Schimmeck mit der Analyse von „Medien, Macht und Meinungsmache“. Der Autor hat in langen Jahren als Journalist, u. a. bei taz, Tempo, Spiegel und Die Woche, intensive Erfahrungen sammeln können. Außerdem ist er nicht nur ein präziser und unterhaltsamer Schreiber, sondern auch ein penibler Rechercheur – der sogar Forschungsergebnisse zum Journalismus zur Kenntnis nimmt, was unter den Berufsvertretern eher unüblich ist. Im Unterschied zu den anderen Niedergangs-Büchern weiß man bei seinem Titel „Am besten nichts Neues“ allerdings nicht genau, was damit gemeint sein soll (abgesehen vom Wink mit Remarques Roman) und lernt es bis zum Ende auch nicht. Dafür lernt man aber eine Menge über die Krise der Öffentlichkeit, in Deutschland und anderswo.

Schimmeck macht sich Sorgen um den politischen Diskurs in diesem Lande und um die Qualität des Journalismus, der im Lichte seiner filigranen Beobachtungen den Aufgaben der Kritik und Kontrolle nicht (mehr) gerecht wird. Vielleicht ist es manchmal eine Schwäche seiner Argumentation, dass sie unter der Hand eine Glorifizierung des Journalismus in der alten ‚Bonner Republik’ suggeriert. Außerdem: Wenn der Journalismus tatsächlich in der Krise steckt, wie dieses Buch fallstudienartig nachzuweisen versucht, dann setzte sie schon Mitte der 80er Jahre ein, als ‚sein Jahrhundert’ zu Ende ging, weil er das Deutungsmonopol für die ‚Selbstbeobachtung von Gesellschaft’ verlor. Das bedeutet nicht seinen Exitus, aber große neue Herausforderungen für die Zukunft. Sie betreffen die Finanzierung von Medien, die Konkurrenzsituation auf den Kommunikationsmärkten, die Komplexität der Berichterstattungs-Themen und die Professionalität der Akteure.

Wie die Verhältnisse heute sind, ist wohl nirgendwo so akribisch herausgearbeitet worden wie in diesem Buch, materialreich belegt mit Hilfe von eindrucksvollen Beispielen, bewertet mit Leidenschaft und dennoch mit Augenmaß. Gewiss muss man nicht alle Bewertungen teilen, zumal Schimmeck gern zuspitzt. Zwar geht ihm – für eine schöne Formulierung – manchmal der journalistische Gaul durch, aber bei aller Pointierung liefert er meistens auch die notwendige Differenzierung.

Das gilt freilich nicht unbedingt für seine Lieblings-Zielscheibe, die Riege von (nervenden) Alphatieren unserer ‚Mediendemokratie’: die Henkels, Barings, Clements, Diekmanns, Müller-Voggs, Austs, Diekmanns und Steingarts; sie alle und diverse andere wie der „Demagoskop“ Manfred Güller (Forsa) kriegen durchweg zu Recht ihr Fett ab. Dem Spiegel, einem seiner früheren Arbeitgeber, den Schimmeck besonders kritisch behandelt, muss man immerhin zugute halten, dass er seinen neoliberalen Wendehals Gabor Steingart nicht ganz nach oben kommen ließ und schließlich sogar zum Handelsblatt entsorgen konnte.

Eine (inzwischen: sehr relative) Person der Zeitgeschichte versucht Tom Schimmeck hinge­gen in einem langen Kapitel ein Stück weit zu rehabilitieren: Andrea Ypsilanti, die den ganzen Furor der deutschen Medienlandschaft zu spüren bekam, als sie in Hessen nach der Krone griff. Was den Autor hier aus guten Gründen empört, ist, dass sich gegen die Politikern eine Medien-Einheitsfront formierte, der dann – bis hin zur persönlichen Verunglimpfung – jedes Mittel recht war, um Ypsilantis ‚Machtergreifung’ zu verhindern. Schimmeck belegt penibel, dass die deutsche Publizistik von links bis rechts hier wie gleichgeschaltet wirkte. Eine Art Rudelbildung identifiziert auch er dabei als zentrales Problem des Journalismus unserer Tage. Dies ist eine besonders verdienstvolle Investigation, zumal das damalige Kesseltreiben – nach allem, was inzwischen innerhalb und außerhalb der SPD passiert ist – heute nur noch absurd wirkt.

Als Kabinettstück erweist sich die unterhaltsame Schilderung des Treibens einer Casting-Agentin (einst links-alternativ, dann Bhagwan-Jüngerin) für TV-Trash-Sendungen. Diese Casting-Maschinerie führt plastisch vor, welch zynische Branche das Fernsehen inzwischen geworden ist.

Kaum jemand hat so gründlich und konkret über das jüngste Versagen des Wirtschaftsjournalismus recherchiert wie Tom Schimmeck. Er kann deshalb gut erklären, was da passiert ist – sofern man das überhaupt richtig erklären kann. Ein eigener, längerer Abschnitt ist dabei dem Treiben des früheren isländischen Ministerpräsidenten Oddsson gewidmet, der mit seiner Finanzmarkt-Besessenheit ein ganzes Land ökonomisch an die Wand fuhr. Fazit: Die Akteure sind in der neoliberalen Herde taub und blind geworden. Allein an diesem Fall vermag Schimmeck zu zeigen, wie wichtig Qualitätsjournalismus ist bzw. sein könnte, und deshalb versteht man noch weniger, dass der Verlag Gruner und Jahr – geführt von einem ehemaligen FDP-Landtagsabgeordneten – sozusagen eine ‚Wester-Welle’ vollführte und ausgerechnet seine Wirtschaftsredaktionen extrem ‚verschlankte’. Richtig empören kann sich der Autor über die Chuzpe, mit der Verlagsmanager und Chefredakteure das Kaputtsparen von Redaktionen als Mittel zur Zukunftssicherung des Journalismus verkaufen.

Man fragt sich angesichts solch geballter Kritik dann aber bisweilen, ob man nicht den guten Journalismus, den es in Deutschland ja auch immer noch gibt, ob man nicht die Edelfedern und die Leyendeckers angemessen würdigen müsste, wenn man die Verhältnisse fair beschreiben will. Solchen Relativierungen verschließt sich Schimmeck aber keineswegs; er gewinnt sie freilich aus detaillierten internationalen Vergleichen und rückt auf diese Weise die Proportionen zurecht. So wird etwa, brillant beobachtet und valide belegt, das ‚Phänomen Haider’ auf die desaströse Medienlandschaft in Österreich zurückgeführt. Das ist das Meisterstück in diesem Buch, wobei der Autor auf alle schrägen Blicke auf Haiders bekannt gewordene persönliche Neigungen völlig verzichten kann. Die weiteren Beispiele USA (Murdoch), Italien (Berlusconi) und insbesondere das genau untersuchte Russland (Putin) führen dann auch vor, dass uns ein Problem (bisher) noch weitgehend erspart geblieben ist: die massive Versippung der wirtschaftlichen, politischen und publizistischen Eliten, die sich zu korrupten Bünden zusammenschließen, um sich den Staat aus reinem Eigennutz unter den Nagel zu reißen.

Für Deutschland lautet hingegen der zentrale Befund, dass es hier einen leichtfertigen Umgang mit dem kulturellen und sozialen Kapital einer kritischen Öffentlichkeit gibt. Zu welchen Borniertheiten das bei diversen Akteuren führt, ist Schimmecks Thema. Er kann sich darüber aufregen; er zeigt Haltung, kämpft engagiert für einen besseren Journalismus. Das Buch, das dabei herauskam, ist selbst ein Beispiel für sehr guten Journalismus, verdichtet zu einem Stück Mediensoziologie. An der Beachtung, die es erfährt, wird man ablesen können, wie offen dieses Land für eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Kommunikationsverhältnissen ist.

Der Autor lehrt Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg



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