TOM SCHIMMECKs ARCHIV
2007

Stoibers Sturz

Bis zum Schluss klammerte sich Edmund Stoiber an die Macht. Am Ende stand der Allmächtige ohne Kleider da. Nun muss die Staatspartei CSU die Nachfolge regeln. 

von Tom Schimmeck 

Letztlich waren wieder die Franken Schuld. Jener Stamm im Norden des Bayernlandes, der nicht bayerisch sein mag, aber doch irgendwie dazugehört. Wochenlang hatte die frechste Fränkin, die CSU-Landrätin Gabriele Pauli, mit flotten Sprüchen gegen Stoiber das Feuer geschürt. Ein schwerer Fall von permanenter Insubordination.

Dreimal war sie mit ihrem Gesprächswunsch beim Landesvater denn auch abgeblitzt. Dann aber, für den Donnerstagnachmittag letzter Woche, doch zum Gespräch in die gewaltige Münchener Staatskanzlei einbestellt worden. ,Klipp und klar” wollte Pauli dem Partei- und Regierungschef dort heimleuchten, ihm ins Gesicht sagen, dass die Zukunft ohne ihn heller leuchtet. Auf dass er “noch mehr ins Nachdenken kommt.‘‘

Es war nicht mehr nötig. Kurz zuvor hatte Edmund Stoiber nachgedacht. Und ein Einsehen gehabt. Er verkündete, für „die Zukunft der CSU und Bayerns“ bald vom Thron zu steigen. Das Kinn war vorgerückt. Der Mann guckte ein wenig entrückt, lächelte fast. Das Ganze dauerte zwei Minuten.

Ein Franke gilt gilt als Top-Kandidat für die Nachfolge: Innenminister Günther Beckstein, 63. Evangelisch. Es wäre der erste Franke auf dem Posten. Wirtschaftsminister Erwin Huber könnte die CSU führen. Sofern den Job nicht Parteivize Horst Seehofer übernimmt, die charismatischere Figur. Doch Seehofer ist geschwächt, seit das Boulevardblatt “Bild” zu Beginn der heißen Woche in sehr dicken Lettern Details aus dem Berliner Privatleben des Bundesgesundheitsministers verbreitet hatte: "Baby mit heimlicher Geliebten". Das ist in der katholischen CSU noch immer ein Problem. Zumal Seehofer daheim in Bayern eine  Ehefrau und drei Kinder hat. Parteihistoriker erinnern an der Anfang der Ära Stoiber.  Damals scheiterte Konkurrent Theo Waigel, nachdem seine Liebesbeziehung zur Ex-Skiläuferin Irene Epple publik geworden war.

Ein halbes Jahrhundert Macht.

Bayerische Politik kann sehr derb sein. Da wird geherrscht, da wird gehorcht. Da ringen harte Männer um wichtige Posten. Seit 1957 regiert die CSU in Bayern, seit 1962 ganz allein. Seit 1970 hat sie stets Wahlergebnisse über 50 Prozent eingefahren. Die CSU ist die unangefochtene Macht in Bayern. Nur in Städten wie München halten sich kleine sozialdemokratische Widerstandsnester.

Über das halbe Jahrhundert an der Macht ist die CSU zur Staatspartei geworden. Sie kontrolliert Stadt und Land, Wirtschaft, Finanzwelt, Wissenschaft und Kultur. Sie hat Drähte überall hin, fördert Branchen und Talente. Sie ist ein Unikum: Die einzige regionale Machtpartei Deutschlands. Kein anderes Bundesland hat derartiges hervorgebracht. Überall sonst dominieren die nationalen Großparteien CDU, SPD, gefolgt von den Kleinparteien FDP, Grüne und PDS .

Die breite Ego der CSU fußt auf ihren Erfolgen. In der Nachkriegszeit mauserte sich die einst bettelarme Agrarregion Bayern zur einer der prosperierendsten Regionen Deutschlands. Gewiss: Das Land hat über Jahre von großzügigen Hilfen des Bundes profitiert. Wie auch, bald nach dem Krieg, von der Tatsache, dass Großkonzerne wie Siemens aus der umzingelten Frontstadt Berlin vor den Russen ins sichere Hinterland floh, in die amerikanische Zone nach München. Solche Wanderungsbewegungen schufen eine Basis für moderne Industrialisierung. Bayern boomte. Berlin verarmte, ist heute bankrotter denn je, ohne öknomische Kraft. 

Auch war das CSU-Imperium zuweilen von Affären überschattet. “Amigos” kassierten ab. Was nicht ausbleibt bei so viel unumschränkter Macht. 1999 wackelte die Landesregierung, als sich herausstellte, dass die halbstaatliche Wohnungsbaugesellschaft LWS in Ostdeutschland 367 Millionen Euro verspekuliert hatte. Regelmäßig werden vor bayerischen Gerichten Durchstechereien zwischen  Industrie und Politik verhandelt. Hin und wieder stürzt ein Minister.

Und doch kann das Polit-Management der Staatspartei CSU nicht das schlechteste gewesen sein: Bayern nutzte seine historischen Chancen, Die Daten sind gut: Großer Wohlstand, niedrige Arbeitslosigkeit, geringste Verschuldung. Die Universitäten werden üppig gefördert, die einstigen Hinterwäldler gelten als hochqualitfiziert. Der Hightech-Sektor breitet sich immer weiter aus. Oberbayern gilt heute als reichste Flächenregion Europas.

Kenner meinen, die CSU sei womöglich die einzige echte Volkspartei in Deutschland. Sie ist zuvörderst konservativ und katholisch. Doch in ihrem ewigen Bestreben nach Konservierung ihrer Allmacht sucht sie fast alle gesellschaftlichen Strömungen abzudecken, fast alle Interessen zu verkörpern: Bauern, Arbeiter, Yuppies und Großindustrielle – die CSU will es möglichst allen recht machen. Alle sollen sich wohl und vertreten fühlen, alle Interessen gewahrt werden. Selbst Frauen dürfen sich inzwischen manchmal äußern.

Im Zusammenspiel mit der großen Schwesterpartei CDU führt das immer wieder zu Konflikten. Wenn es um die Familie oder die “Fremden” geht, steht die CSU eher weiter rechts. Zeigt die CDU unter Kanzlerin Angela Merkel jedoch neoliberale Anwandlungen, kontert die CSU schnell, spielt sich als soziale Kraft auf, überholt sogar die SPD zuweilen links. Bundespolitische Interventionen sind spätestens seit der Ära Franz-Josef Strauß ein Markenzeichen der CSU.

Das Ungetüm Strauß, bis heute die größte Legende der CSU, war ein Mann der großen Szenen und der großen Geschäfte, mit Kontakten zu Diktatoren in aller Welt. Kein Stein blieb auf dem anderen, wenn der abyeroische Löwe gegen die “Brunnenvergifter” wetterte. Sobald die Kretins in der Hauptstadt den Bayern ärgerten, pflegte er sich ins Flugzeug zu setzen und eigenhändig nach Bonn zu jetten. Etwa um CDU-Kanzler Helmut Kohl die Meinung zu sagen. Daheim sorgte derweil der viel kühlere Stoiber für Ordnung, trug die Mappen, lenkte schließlich die Staatskanzlei. In der CSU nannten sie ihn “das blonde Fallbeil”.

Ein Vierteljahrhundert Stoiber

Strauß war das große Vorbild. Doch Stoiber ist ein gänzlich anderes Naturell: Beherrschter, emsiger, auch arroganter. 1993 ergatterte er selbst den Ministerpräsidentensessel, wurde oberster Manager des erfolgreichen Bundeslandes Bayern. Man bewunderte ihn. Nur warm wurden die Bayern nicht mit ihm. Der Technokrat Stoiber war zu unbajuwarisch, ein Asket ohne Charme, ohne Humor, der zu fleißig war und zu wenig Bier trank. Der, blödelten die CSU-Kerle kopfschüttelnd, habe im Bett lieber "eine dicke Akte als eine schlanke Nackte".

Wie Mentor Strauß anno 1980 hielt auch Stoiber schließlich die Zeit für gekommen, da Deutschland reif sei für einen Kanzler aus Bayern. Angela Merkel musste weichen, 2002 trat Edmund Stoiber an. Sein Slogan: “Kantig. Echt. Erfolgreich.”

Er suchte seine Strenge abzumildern, den belehrenden Zeigefinger unten zu halten. Das weiße Haar bekam einen vornehmen Schimmer. Die vielen “Äähs” in den zu langen Sätzen wurden wegtrainiert. Und doch scheiterte er wie Strauß. Nur knapper. Verheerend jener Bundestagswahl-Abend im September 2002, da sich Stoiber in Berlin schon als Sieger feiern ließ, dann nach München abflog. Und als Verlierer landete. Gerhard Schröder hatte es knapp geschafft.

Seine Bayern verübelten es ihm nicht. Im Jahr darauf schenkten sie dem alten Hagestolz daheim den schönsten Sieg. 60,7 Prozent wählten CSU, auch die Jugend (59 Prozent), ja selbst die Arbeiter (62 Prozent). Die Katholiken sowieso (66). 124 der 180 Abgeordneten im Byerischen Landtag zu München sind seither Mitglied der CSU. Die Zustimmung zu Stoiber, hauchte CSU-Fraktionschef Alois Glück im Siegesjahr 2003, sei „jetzt in eine andere Dimension hineingewachsen“.

Das Unglück kam mit dem Aufschwung der Angela Merkel. Die fremde Frau aus dem Osten, die 2004 mit Mühe den Schröder und die Rotgrünen besiegte und Stoiber als Super-Minister für Berlin buchte, als Aufschwungs-Fachkraft für Wirtschaft, Finanzen, Technologie etcetera. In Bayern waren schon Nachfolgekämpfe ausgebrochen, da entschloss sich Stoiber in letzter Minute, in der Münchner Staatskanzlei zu bleiben. Bis heute hat er nicht erklärt, warum.

Es war der Anfang von seinem Ende. Seither gilt der Bayernkönig als Flüchtling und Feigling. Seither fragten immer mehr seiner Landeskinder: Wie lange noch? Und warum will der partout nicht weg? EU-Kommissar, womöglich Kommissionspräsident hätte er Stoiber werden können, auch deutscher Bundespräsident. Doch Stoiber fand den Absprung nicht, kündigte stattdessen höchst frühzeitig an, im Jahre 2008 erneut Ministerpräsident aller Bayern werden zu wollen.

Da wuchs der Zweifel auch in den eigenen Reihen. Über Monate vermochten die autoritären Strukturen der CSU die Gegenstimmen auf Zimmerlautstärke zu dämpfen. Bis Gabriele Pauli, die rothaarige CSU-Landrätin aus Fürth, auf den Plan trat. Im Internet und auf einem Parteitag forderte sie Stoiber auf, den Weg frei zu machen. 

Die Machtzentrale suchte die Rebellin daraufhin anzuschwärzen. Stoibers Bürochef Michael Höhenberger griff zum Telefon, um ein bisschen im Privatleben der störenden Dame zu forschen, ein wenig schmutzige unterwäche aufzuspüren. Doch die Landrätin bekam Wind davon, machte auch dieses Vorgehen publik. Pauli redete, auf allen Kanälen. Sie kann das. Die Landrätin ist eine Expertin für Public Relations. Ihre Dissertation trägt den Titel: "Polit-PR – Öffentlichkeitsarbeit politischer Parteien am Beispiel der CSU".

Höhenberger musste gehen, Stoiber schwieg. „Pauli-Gate“ war geboren. Kurz vor Weihnachten ähnelte die Konstellation einem schlechten Heimatroman: Die „schöne Landrätin“ gegen den störrischen Machthaber Stoiber. Der Countdown lief. „Die Partei“, befand Stoibers Alt-Gegenspieler Theo Waigel, „ist in der größten Krise seit 1948“.

Doch das Ende des Königs wird zäh. Weil es in der CSU keine offene Aussprache gibt, umso mehr diffuse Stimmungen und verräucherte Hinterzimmer. Wenn es um das Wohl der CSU geht, werden auch die Getreuen nervös. Die Pauli-Krise raubt dem schon entzauberten Stoiber die Kraft. CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann – noch ein Franke – hört über seine Abgeordneten die Stimmen der Basis. Die künden von Unverständnis und Überdruss. Umfragen melden: Die CSU liegt unter 50 Prozent.

Anfang letzter Woche dann die alljährliche Fraktionsklausur im Wildbad Kreuth. Der Kurort am Tegernsee ist bei der CSU mythisch besetzt. Hier wird Tacheles geredet, hier wurde schon manche – wenn auch meist schnell gescheiterte – Rebellion gegen die Schwesterpartei ausgeheckt, einmal sogar der Bruch mit der Union. Würde Kreuth Klarheit über Stoibers Zukunft bringen?

Montagnacht reist Stoiber nach vielstündiger Debatte ab, die frohe Botschaft verkündend, er genieße "absolute Rückendeckung". Die Granden der Partei dementieren alle Putschgerüchte energisch, schwören Treue. Der Gärungsprozess aber geht weiter. Herrmann orakelt, Stoiber habe die tür „einen Spalt breit geöffnet”. Plötzlich heißt es, ein Parteitag im Herbst werde entscheiden. Da wird den Kennern klar: Das Ende ist nah. Autoritäre Systeme vertragen keine Ungewissheit.

Bald überstürzten sich Meldungen, Huber und Beckstein hätten die Nachfolge ausgehandelt. Huber flieht, nach einem Sauerbraten mit Kartoffeln, wortlos aus Kreuth. Beckstein lächelt. Stunden später die Erlösung: Stoiber erklärt seinen Rückzug, Ende September, als Ministerpräsident und Parteichef.

Jetzt muss nur die Nachfolge geklärt werden. Der populäre Franke Beckstein hat gute Chancen, die Staatskanzlei zu übernehmen. Um den Parteivorsitz aber werden sich mindestens zwei streiten. Erwin Huber und  Horst Seehofer, der, trotz Boulevard-Schlagzeilen, kampfbereit scheint. Er ist die populärere Führungsfigur, ohne Liebes-Affäre wäre der Favorit. Es könnte die nächste Schlammschlacht werden.


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