TOM SCHIMMECKs ARCHIV
1989


„Wir müssen an Mütter und Bräute ran“

Eine Spezialabteilung des Bonner Verteidigungsministeriums, einst für den Kalten Krieg gegen den Osten gegründet, soll das schwindende Bedrohungsgefühl der Zivilbevölkerung neu erwecken. Offiziere spüren prominenten Friedensbewegten nach, getarnte Vereine versuchen, mit Filmen und Zeitschriften "schwierige Gruppen" gezielt zu beeinflussen. Die Hardthöhe will in Zeiten der Entspannung wieder "Wachsamkeit an den Mann bringen".

von Tom Schimmeck

D

a sind einem die Worte ausgegangen: Er befinde sich "in einer Sackgasse", klagt der uniformierte Seminarteilnehmer, "draußen in der Truppe" könne er "nicht so argumentieren". 

"Ich meine, daß die Bevölkerung sich etwas blenden läßt von den guten Worten des Herrn Gorbatschow", fürchtet ein anderer - "und auch die Politiker", ergänzt sein Nachbar. "Für mich", resümiert ein Vierter verzweifelt kategorisch, "besteht die Bedrohung aus dem Osten nach wie vor." Die verkörpere, sagt er schlicht, "der Russe".  Der Seminarleiter, Offizier wie die Zuhörer, steuert mit kräftiger Stimme einen "kameradschaftlichen Tip" bei: Mit markigen Drohungen vor der Gefahr des "Weltkommunismus holen wir heute keinen mehr hinterm Ofen vor", rät er, "da müssen wir etwas vorsichtig sein". 

Die ratlose Runde, die sich über den Sinnschwund der Streitkräfte den Kopf zerbricht, tagt in einem nüchtern möblierten Seminarraum der "Akademie für psychologische Verteidigung". Amtssitz der Bundeswehr-: Das Kleinstädtchen Waldbröhl im Oberbergischen.  Der Bau in Hanglage ist von herausragender Häßlichkeit. Eine überdimensionierte Freitreppe, schmale, hochaufragende Fenster wie überdimensionierte Schießscharten. Das Monstrum wurde einst von den Nazis erbaut, um Kraft durch Freude abzustrahlen. 

In der Eingangshalle ist der Versuch mißlungen, die Optik des Dritten Reiches zu entschärfen. Riesenmosaike prangen an den Wänden, hier blond- fleißiges Landvolk, dort ein kraftstrotzender Jüngling, aus dessen Hand ein Falke aufsteigt, dazwischen – immerhin – Astrid Lindgrens Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels: "Nie wieder Gewalt". 

Die eigentümliche Schulungsstätte, beteuert Akademieplaner Oberstleutnant Paul Schulz, sei eine "ganz normale Truppengattung des Heeres". Unter dem Befehl von Oberst Horst Prayon rüsten Ausbilder rund 1500 Soldaten pro Jahr, vom Kompaniefeldwebel aufwärts, für die "geistige Auseinandersetzung" im Frieden: Den immer schwierigeren Umgang mit Untergebenen und Zivilbevölkerung. Auch interessierte Lehrer, Pastoren und Journalisten werden, so sie für die Truppe in die Bresche zu springen bereit sind, gern geschult. 

Soldaten etwa lernen im Lehrgang "Argumentation und Gesprächsführung", das Banner der Streitkräfte auf Veranstaltungen wie im privaten Kreis "auftragsgerecht" (Schulz) hochzuhalten.  Offiziere werden in kleineren Gruppen ("Psychologische Verteidigung als Führungsaufgabe") auch für härtere Schlachten präpariert: Diskussionen in Schulklassen und auf den Bühnen größerer Säle.  Jugendoffiziere, im Einsatz, um bei jungen Leuten das ramponierte Ansehen der Streitkräfte zu reparieren, werden auf der Waldbröhler Anhöhe im Feuer der Kritik gestählt – um auch in Streßsituationen wehrkraftfördernde Worte zu finden. Drei Videokameras filmen die uniformierten Botschafter beim Üben. Selbst die richtige Körperhaltung will gelernt sein: Ein Repräsentant der Bundeswehr steckt die Hände nicht in die Hosentaschen, fläzt sich auf keinen Stuhl. 

"Der Gorbi-Effekt", das räumen Psycho-Dozenten in Waldbröhl offen ein, wirke nicht eben belebend auf Kampfesmut und Argumentationskraft der Uniformträger.  Auch das hilflose NATO-Gebrummel zu den Vorschlägen aus Moskau liefert den Psycho-Verteidigern und ihrer Kundschaft keine Munition für selbstbewußte Rhetorik.  Schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr steht das bundesdeutsche Militär in Volkes Augen da. Umfragen belegen: Atomare Abschreckung ist out. Gut zwei Drittel wollen auch in konventionelles Geschütz nicht noch mehr Geld stecken. Bei einer Emnid- Umfrage im vergangenen Herbst – Auftraggeber: das Bundesverteidigungsministerium – landete die politische Aufgabe "Schutz der Bundesrepublik gegen äußere Bedrohung" auf dem letztmöglichen Platz. Die Angst vor dem übermächtigen Osten, seit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik anno 1955 sinnstiftend fürs Militär, scheint sich ersatzlos zu verflüchtigen. 

Da sehen sich jene wieder gefordert, die schon bei Gründung der Bundeswehr, auf dem Höhepunkt des kalten Krieges, die neue Armee gegen Widerworte abzuschirmen hatten. Die Psychologische Verteidigung, auf der Bonner Hardthöhe kurz PSV genannt, muß ins Gefecht.  Die Psycho-Kämpfer, koordiniert vom Führungsstab I 9 im Bonner Verteidigungsministerium, beschäftigen mit ihrer "spezifischen Art von Information" (Prayon) einen umfänglichen Apparat:

  • die PSV-Akademie in Waldbröl, die neben der Schulung von Offizieren und willigen Zivilisten auch "Bedarfsforschung" über interessante Zielgruppen betreibt;
  • die PSV-Truppe, ein Spezialbataillon in Andernach, das, ausgestattet mit mobilen Lautsprecheranlagen, Rundfunkstudios, Sendegerät, Druckerei und "Ballonzug", für die "Aufrechterhaltung der Operationsfreiheit" sorgen und "Argumente von Störergruppen" nach Kräften "neutralisieren" soll;
  • PSV-Stabsoffiziere in den Territorialkommandos, Wehrbereichskommandos und Korps, die "psychologische Maßnahmen" planen und durchführen, um zaudernde Zivilisten in ihrem Wehrwillen zu stärken;
  • Vereine und Zeitschriften, die unter neutralem Etikett jene Bundesbürger anzusprechen suchen, die nach Einschätzung der Militärs "wirksamer erreicht werden, wenn die Bundeswehr nicht in Erscheinung tritt".

Die vertrauliche Dienstvorschrift "ZDv 1/200 VS-NfD Psychologische Verteidigung", im November 1983 nach jahrelanger Vorarbeit erlassen, nimmt nicht nur den "Feind", sondern auch die zu schützende Bevölkerung ins Visier. PSV-Stabsoffiziere in Korps, Wehrbereichs- und Territorialkommando sollen auch "im Frieden" alle "Erkenntnisse über Motive von Gruppen, die dem Wehrdienst indifferent" oder gar "feindlich gegenüberstehen", auswerten.  "Im Frieden wie im Krieg", so will es die Vorschrift, soll PSV die psychologischen "Wechselwirkungen" zwischen "den Streitkräften, der Bevölkerung und den Kräften des Gegners" tatkräftig beeinflussen. Ziel: "erwünschte Wirkungen zu erreichen oder zu verstärken, unerwünschte aber auszuschalten oder einzuschränken". Denn "das Verhalten der Bevölkerung in Krisen und im Krieg" – Horrorvision der Hardthöhe – "kann den militärischen Erfordernissen zuwiderlaufen und den Dienst der Truppe stören".

Seit dem Wiederaufkommen der Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre sind PSV-Experten verstärkt im Einsatz, um Zweifel im Volk wie in der Truppe einzudämmen. Stets gilt es zeitig zuzupacken. PSV- Offizier Schulz, zuvor Kommandeur in Braunschweig, erinnert sich etwa an eine Situation, die im PSV-Sprachgebrauch – nach dem alten Wehrmachtsschlager – "Lage Lilli Marleen" ("Vor der Kaserne...") genannt wird: Eine Demo von Friedensbewegten vor seinem Bundeswehrstandort.  Blitzschnell ließ Schulz beim Anrücken von Friedensdemonstranten Handzettel als Gegengift an die Soldaten verteilen. Am Tor der Militäranlage wurde auf Geheiß des Kommandeurs eine Mülltonne für die Flugblätter der Blockierer aufstellen, "damit der Dreck nicht in der Kaserne rumfliegt". 

Wachsamkeit ist erste Pflicht. Seit Jahrzehnten liefern PSV-Lauscher der Akademie und dem Verteidigungsministerium detaillierte Berichte zur "psychologischen Lage". Akribisch wird über Infotische und Flugblätter Buch geführt, über Podiumsdiskussionen und Plakate an Bushaltestellen, auch mal über eine Kreisdelegiertenkonferenz der DKP. Zuweilen zeigen die Soldaten-Reporter dabei unfreiwillige Komik: "Die psychologische Lage", resümiert der Düsseldorfer PSV-Beauftragte in seinem Januar-Report, "war im Berichtszeitraum im Wehrbereich III stabil."  Wie ein Nachrichtendienst sammeln die Psycho-Verteidiger Informationen über alle möglichen ihr verdächtig erscheinenden Umtriebe im Lande. Symptomatisch für den seit Jahrzehnten ungebrochenen Sammeleifer: Die "PSV- Information" des Wehrbereichkommandos III in Düsseldorf für den Januar 1974, ohne Anlagen schon 64 Seiten stark. Sie zeigt, dass auch unter sozialliberaler Regierungskontrolle fleißigst observiert wurden. 

In dem Bericht wird die Verteilung der Betriebszeitung "Roter Hobel" vor einer Dortmunder Zeche ebenso vermerkt wie der Verkauf des "Roten Morgen" in der Münsteraner Innenstadt. PSV-Berichterstatter melden, wer Kriegsdienstverweigerer in Unna, Iserlohn und Bonn berät, Veranstaltungen zum Vietnam-Krieg oder eine "Chile-Sammelwoche in der Bielefelder Innenstadt organisiert. "Eine selbstgenähte Fahne", referiert der Bericht, "brachte 60,- DM ein."  Schon damals begnügten sich die PSV-Beobachter nicht damit, jede Regung von K-Gruppen auf die Hardthöhe zu melden. Detailliert listeten sie Hochschulwahlergebnisse und GEW-Demonstrationen auf. Penibel notierten sie selbst "wehrkritische und wehrfeindliche Veröffentlichungen im Medienbereich", darunter eine komplette Sendereihe im TV-Programm des WDR. 

Ihr Eifer ist bis heute ungebrochen. Besonders fleißige PSV-Offiziere abonnieren linke Postillen zu Beobachtungszwecken unter ihrer Privatadresse. Der Militärische Abschirmdienst (MAD), der von der PSV bisweilen einen Tip bekommt, steuert seine Quartalsberichte bei. Halbjährlich destilliert die Abteilung I 6 im Streitkräfteamt daraus einen Bericht über "Bestrebungen gegen den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte" (Auflage: 650 Stück). Als Herausgeber fungiert der Führungsstab I 9, Lenkungsorgan der PSV im Verteidigungsministerium.  Stets zielen diese Berichte darauf ab, durch häufige Nennung von aktiven DKP-Mitgliedern den Nachweis zu führen, die Friedensbewegung - von der PSV stets in Anführungsstrichen geschrieben - sei kommunistisch gesteuert. Aber auch Christen, Grüne und Wissenschaftler, Tieffluggegner und Weltbank-Kritiker sind in der neuesten "Lagefeststellung" über das zweite Halbjahr 1988 vermerkt.

Anfang des Jahres stießen Mitarbeiter des Bundesbeauftragten für den Datenschutz bei einem Prüfbesuch im Streitkräfteamt, Arbeitsbereich "Psychologische Verteidigung West" schon "bei flüchtiger Durchsicht" der Karteien prominenter Sozialdemokraten wie Herta Däubler-Gmelin, Egon Bahr oder Freimut Duve. In einem speziellen Ordner hatte die PSV besonders wichtige Stammkunden abgelegt, etwa die Grünen Petra Kelly und Alfred Mechtersheimer, den Arzt Karl Bonhoeffer, den Theologen Hans Küng, den Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker oder die Schriftstellerin Christa Wolf.  Die Spezialakte, so ermittelten die Datenschützer, enthielt allerlei Daten, die "in keinerlei Beziehung zum Verteidigungsauftrag stehen" – etwa die Notiz "alleinerziehende Mutter". Eine Kartei mit Daten über Rechtsextremisten dagegen, bemerkten die Prüfer, "wurde seit ca. acht Jahren nicht mehr fortgeführt". 

Das Resumee nach der Schnitzeljagd im Streitkräfteamt fiel denn auch wenig schmeichelhaft aus. Die Psycho-Verteidiger, bilanzierte Bundesdatenschützer Alfred Einwag Mitte April, verstoße gleich mehrfach gegen das Datenschutzgesetz. Die Sammelei haben weder eine gesetzliche Grundlage noch "Datenpflege- und Löschungsregelungen". Die Daten waren nicht in der Übersicht des Ministeriums registriert, zudem nach Einwags Urteil für die Arbeit des Amtes auch "nicht erforderlich". Der Prüfer rügte die unklare Abgrenzung zur Arbeit des MAD und empfahl den Militärs in ungewohnter Schärfe, "auf eine Verarbeitung personenbezogener Daten – soweit irgend möglich – ganz zu verzichten".  Dem Rat wird die Hardthöhe kaum folgen. Auch bundeswehrinterne Kritik an der geheimdienstlichen Attitüde der Psychoverteidiger wurde ruppig abgebügelt.

Schon im Sommer letzten Jahres hatte der Chef des Amtes für Studien und Übungen der Bundeswehr, Flottillenadmiral Elmar Schmähling, beim Ministerium schriftlich gegen PSV-Aktivitäten protestiert. Mit der Erfassung sogenannter "Aktivitäten gegen die Bundeswehr", meist nur "die Wahrnehmung von Grundrechten unbescholtener Bürger", so der Admiral, werde ein "völlig schiefes Bild" gezeichnet. Schmähling bat den damaligen Verteidigungsminister Rupert Scholz, diese Praxis, schon mit Blick auf das "Ansehen der Bundeswehr", schnell "abstellen zu lassen".  Die Bonner Kameraden sahen das ganz anders. Statt Scholz antwortete, nach über zwei Monaten, Generalmajor Jürgen Schnell. Er stellte klar, daß Bürger, die sich über Tiefflugbelästigungen beschwerten, auch ein potentielles Sicherheitsrisiko darstellten, weil schließlich "jede Bestrebung, Einfluß auf die Ausgestaltung der militärischen Ausbildung zu nehmen, eine sicherheits- und verteidigungsrelevante Komponente" besitze. Die Bundeswehr dürfe sich nicht hindern lassen, so Schnell, "darzustellen, welche Gruppierungen mit welchen Mitteln möglicherweise negative Einflüsse auf die bewaffnete Sicherung des Friedens haben".

Im Auswertungsraum des Andernacher PSV-Bataillons 850 hängt der Gegner von der Decke herab. Eine rote Fahne und das Banner der DDR zieren die sonst schmucklose, mit Aktenschränken vollgestellte Arbeitsstube. "Wir haben", meint Kommandeur Bernhard Ickenroth, "nichts zu verbergen." Sein PSV-Trupp ist wohl der einzige Bundeswehrverband, der schon Krieg geführt hat. Unter strengster Geheinhaltung bezog 1959 die erste Einheit, die Radio-Kompanie 993, Posten in einem Hotel im Luftkurort Rengsdorf im Westerwald, um gegen Feindpropaganda aus der DDR anzufunken. 

Zwei Jahre zuvor hatte das neue deutsche Verteidigungsministerium ein Referat für psychologische Kampfführung beim Führungsstab angesiedelt. Zu einer Zeit, da die politische Führung tagtäglich die kommunistische Invasion hereinbrechen sah und im Strauß-Ministerium Listen über kommunistisch Infiltrierte kursierten, schien es dem Militär dringlich, sich eine Waffe unterhalb der Schwelle physischer Gewaltanwendung zu schaffen.  Das westliche Sendungsbewußtsein weitete sich schnell aus. Psycho-Kampfkompanien, stationiert in Münster, Koblenz und Ulm, ließen an der Ostgrenze bald zigarrenförmige Plastikballons aufsteigen, die, vom vorherrschenden Westwind getragen, tonnenweise Flugblätter, Zeitungen und Büchlein über die Grenzanlagen auf DDR-Gebiet verbrachten. "Das war", erinnert sich der Grünen-Abgeordnete Alfred Mechtersheimer, damals Angehöriger einer Psycho-Kompanie, "Antikommunismus, der sich gewaschen hatte." DDR-Publikationen beklagten damals die Unfallgefahr: „Solche Gasballons explodierten schon mit Stichflammen in der Touristenstadt Quedlinburg.“

Getarnt als "Mitteldeutsche Arbeiterzeitung" oder als "Presse-Rundschau für die bewaffneten Organe" wurde grobschlächtige West-Werbung auf Volksarmisten wie Zivilisten abgeworfen - bis 1965 rund 100 Millionen Flugschriften. „Neckermann macht's möglich", verkündete die Luftpost und riet zum "Großen Sprung". „Arbeit, Lohn und Freizeit" verhießen die Botschaften der Psychologischen Kriegsführung, dazu Autos und Konsum in Fülle: "Äußerst schlecht zu parken hier."  Der skurrile Papierkrieg lag im Trend. Auch die CDU und das "Ostbüro" der SPD ließen Texte nach drüben aufsteigen, selbst die Zeugen Jehovas klemmten ihre Heilsbotschaft an Luftballons. In der Gegenrichtung plärrten Lautspecherwagen über den Zaun. Zur Hebung der Aufmerksamkeit für ihre westwärts geschleusten Soldatenzeitungen schreckten die prüden Einheitssozialisten selbst vor Pin-Up- Girls nicht zurück. 

Die psychologischen Kampfhandlungen an der deutsch-deutschen Grenze endeten erst 1972, als die Bundesrepublik und die DDR mit dem Grundlagenvertrag ihre Beziehungen zu normalisieren begannen. Das Andernacher PSV-Bataillon, noch heute mit 400 Mann für den sofortigen Einsatz gerüstet, muß sich seither meist mit Übungen begnügen. An einem Interview mit Johannes Mario Simmel etwa, wegen der vielen Versprecher als hartes Training beliebt, lernen die "Redaktionssoldaten" im Studio den richtigen Bandschnitt. Nur deutsche Soldaten in Kanada und den USA werden von "Radio Andernach" allwöchentlich mit "herzlichen Grüßen von daheim" beschallt. Durch Interviews mit Popstars und Fußballprofis sollen die "Truppenbetreuungssendungen" (Ickenroth) für Entspannung am fernen Einsatzort sorgen. Zu Weihnachten spricht der Kanzler oder der Präsident ein Grußwort.

Unter CDU-Verteidigungsminister Manfred Wörner, durften die "Redaktionssoldaten" 1987 erstmals wieder daheim funken: Auf einem Mittelwellen-Sender des Bayrischen Rundfunks strahlten Andernacher PSV-Kämpfer zum Manöver "Kecker Spatz" ein Unterhaltungsprogramm an Soldaten und Zufallshörer ab. Und bekamen dabei, berichtet Ickenroth, richtig "Nässe unter den Armen". Das würde der Kommandeur künftig "gerne öfter machen".

Doch Funk- und Flugblattkampf, bei den Psycho-Strategen auf der Hardthöhe einst hochbeliebt, gelten längst nicht mehr als durchschlagendste Abwehrwaffe gegen falsche Gesinnung. Zwar lehren die Einwirkungsspezialisten an der Akademie in Waldbröl noch immer, die Kampfkraft des Gegners mittels Flugblatt ("Blauland will Frieden") und Lautsprecherdurchsage ("Sie verletzten das Völkerrecht") zu schmälern. Das Schwergewicht der Arbeit jedoch, resümiert der Ende März pensionierte Akademie-Leiter Oberst Horst Matzeit, liegt heute "zu zwei Dritteln im Innern". Seine Sicht der Problemlage: "Wie bringe ich die Wachsamkeit an den Mann?"  Mit der Umbenennung zur "Akademie", räumt Matzeit ein, wolle man in den „Vatikan der PSV" mehr Professoren, Lehrer und Journalisten locken - "Meinungsmultiplikatoren", denen die Geisteskrieger laut Dienstvorschrift "Beratung und Unterstützung" angedeihen lassen sollen, sofern sie zur Bekämpfung von "negativen Einstellungen zur Verteidigungsbereitschaft" bereit sind. Bedauerlich nur, meint der Oberst beim Kaffee kopfschüttelnd, "daß in den 70er Jahren jeder Lehrer werden konnte": "Ich kann mich nicht vom Staat bezahlen lassen und gegen ihn opponieren." Opposition gegen die Truppe ist ihm einfach unappetitlich.

Das war schon 1958 so, als beim Bonner Führungsstab ein Referat "Psychologische Kampfführung" eingerichtet wurde: Auch damals gab es Protest gegen Streitkräfte und Atombewaffnung. Die "Absicht unseres Gegners, Verwirrung, Angst und Zweifel zu verbreiten", erklärte Verteidigungsminister Franz Josef Strauß mit Blick auf die "zahlreichen kommunistischen Tarngruppen" im Lande, "muß mit allen Mitteln verhindert werden". Als Einflüsterer in frühen Tagen agierte in der Umgebung von Strauß seinerzeit Eberhard Taubert, der seine Karriere in Goebbels' Propagandaministerium, zuständig für "Aktivpropaganda gegen die Juden", begonnen hatte. Taubert, Autor des 1940 produzierten Films "Der ewige Jude", eines der finstersten Propaganda- Machwerke des Dritten Reichs, später Beisitzer in Freisslers Volksgerichtshof und Propagandachef des "Generalreferats Ostraum", hatte seine Fähigkeiten zuvor auch dem Gesamtdeutschen Ministerium zur Verfügung gestellt. "Taubert ist ein Mann, den wir brauchen", beschied dort ein Ministerialer 1955 auf Anfrage, "Taubert hat Erfahrungen." 

Der Vizevorsitzende im "Volksbund für Frieden und Freiheit", einer aus Bonner Geheimfonds finanzierten "Sammlungsbewegung zur Abwehr des Bolschewismus", blieb Strauß über die Beratung beim Aufbau der Psychologischen Kriegführung hinaus verbunden. Noch 1972 organisierte er mit alten Kameraden Anzeigenkampagnen gegen die sozialliberale Regierungskoalition.  Die düstere Frühgeschichte des ministeriellen Psycho-Kampfes gilt der Hardthöhe heute als Störfaktor. "Einen Zuammenhang zwischen der NS- Propaganda und der PSV herzustellen, ist abwegig", erklärte der Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer (CDU) Mitte April auf Anfrage des Abgeordneten Mechtersheimer. "Experten der Hardthöhe" streuten via "Welt" sogar, Taubert habe "niemals Verbindungen zu dem Bereich der psychologischen Verteidigung gehabt".

Das Gegenteil ist wahr. Auch nach seinem Engagement im Strauß- Ministerium blieb Taubert in Verbindung. Ortwin Buchbender, heute ziviler PSV-Chef im Verteidigungsministerium, dankte ihm in seinem 1978 im Seewald-Verlag erschienenen Buch "Das tönende Erz - Deutsche Propaganda gegen die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg" ausdrücklich für seine "Hilfsbereitschaft".  PSV-Aktivist Kurt Klein, Leitender Wissenschaftlicher Direktor der PSV-Akademie, versuchte sich 1980 - Taubert war schon tot - mit einem Leserbrief an den SPIEGEL an einer Teilrehabilitierung Tauberts. Der "Ministerialrat a. D. Dr. Eberhard Taubert", führte Klein "zur Ergänzung des schillernden Persönlichkeitsbildes" aus, sei schließlich "an erster Stelle leidenschaftlicher Antikommunist" gewesen, erst "von hier aus fand er zum Nationalsozialismus und Antisemitismus." Ausgerechnet Taubert, zeitweise untergetaucht und für die Verwendung diverser Decknamen berüchtigt, habe, behauptet Klein, "nie einen Hehl aus seiner Vergangenheit" gemacht und ihm, Klein, sogar „vertraulich“ eröffnet, "er sei Mitglied der SPD, kenne und schätze Herbert Wehner und fühle sich der Partei loyal verbunden". 

Der "Kreis für konservative Politik" lädt ein. Im Großen Mozartsaal eines Hamburger Logenhauses doziert PSV-Wissenschaftler Klein unter imposanten Kronleuchtern in aller Breite über "Politische und Soziale Ursachen des Terrorismus". Alles kommt zur Sprache: die eigene Kriegsgefangenschaft in Sibirien, sein Zorn über gewisse Wochenblätter aus der Hamburger "Meinungsfreiheitsszene", über laschen Liberalismus und linke Socken wie den Schriftsteller Günter Graß. "Diesen Intellektuellen", findet Klein, müsse ohnehin "mal klargemacht werden, daß es gegen den Rechtsstaat kein Widerstandsrecht gibt". Heftigen Beifall spendet das hochbetagte Publikum vor allem für Kleins Anmerkungen zur deutschen Geschichte. "Ich kenne kein dümmeres Wort als das von der Vergangenheitsbewältigung", tönt der Redner, genau die habe auch die "Linksterroristen geprägt". Ob es nicht nur noch "Feigheit" sei, daß die Grünen nicht endlich verboten werden, wird aus dem Publikum gefragt. Man müsse mit solchen "Verboten vorsichtig sein", meint Klein, die Staatsschutzbehörden könnte eine solche Maßnahme "leicht überfordern".

Die fundamentale Gesamtbotschaft scheint symptomatisch zu sein für jene verdeckte Einflußarbeit, die von der PSV seit Jahren aus Steuermitteln geleistet wird. Durch "indirekte Vorgehensweise", sagt PSV-Chef Oberst im Generalstab Günter Hoffmann vom Bonner Führungsstab, sollen vor allem "schwierige Gruppen" erreicht werden, "die nicht mit offenen Armen auf die Bundeswehr zugehen".

Schaltzentrale solcher Aktivitäten ist eine Villa in Bonn-Bad Godesberg, Ubierstraße 88. Dort residiert die "Studiengesellschaft für Zeitprobleme e.V.", laut Satzung der "Förderung des demokratischen Gemeinwesens" verpflichtet. Mittels Vorträgen, Seminaren und "publizistischen Maßnahmen der geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus" sollen, so das Vereinsstatut, "in erster Linie junge interessierte Staatsbürger angesprochen werden". Tatsächlich ist der vorgeblich private Verein, der nur gut 30 Mitglieder hat, eine Dependance des Verteidigungsministeriums. Führende PSV-Leute, darunter Oberst Hoffmann und sein Kollege Buchbender, ziviler Chef im Führungsstab I9, gehören dem Klub ebenso an wie altgediente PSV-Kameraden. Als Schatzmeister fungiert der stramm rechte Politikwissenschaftler Günther Wagenlehner, 65, der seinen "eigentlichen Geburtstag" auf den 9. Oktober 1955 datiert, den Tag seiner Heimkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft.

Zur "geistigen Landesverteidigung" (Staatssekretär Wimmer) reihen sich auch zivile Mitstreiter helfend ins Vereinsleben ein. Den Vorsitz der "Studiengesellschaft" führt der Reutlinger Politikprofessor Klaus Hornung, 62, ein in "Bayernkurier", "Welt" und "Rheinischem Merkur" bewährter Vielschreiber. Der sinnierte schon anno 1956 über das Thema "Soldat und Staat", streitet seither unermüdlich gegen die "hysterische Atomkriegsfurcht" und für eine "nationale und patriotische Perspektive". Die Zeitschrift "Mut", vom Bundesamt für Verfassungsschutz bis 1984 als "rechtsradikal" eingestuft, führt den Professor als "ständigen Mitarbeiter" im Impressum. Gern zitiert Hornung einen Satz des Altliberalen Friedrich Naumann: "Was nützt alle Sozialpolitik, wenn die Kosaken kommen?"  Längst sind Blätter wie "Mut" durch geschickte Verlagspolitik aus der ultrrechten Ecke herausgetreten. Prominente Autoren helfen, das Renommee rechter Gesinnung zu steigern. In der Februar-Ausgabe des Blattes etwa warnte der zu diesem Zeitpunkt noch amtierende Verteidigungsminister Rupert Scholz vor einer durch Gorbatschow ausgelösten "Entspannungseuphorie". 

Rund eine Million Mark erhält die Gesellschaft jährlich aus dem Verteidigungshaushalt, Kapitel 1401, Titel 53504. Der Verein bezahlt davon allerlei Druckerzeugnisse, etwa die Vereinszeitung "Beiträge zur politischen Bildung" oder die Buchreihe "Demokratische Verantwortung". Um die Produkte gezielt verteilen zu können, kauft der Verein Adressensammlungen von Lehrern und anderen Multiplikatoren. Eigene Filmproduktionen wie "25 Jahre Berliner Mauer", "Wehrdienst - Zivildienst" oder "Friedensbewegung - Wege aus der Gefahr" werden über Landesfilmdienste, Landesbildstellen und die Landeszentralen für politische Bildung feilgeboten. Der Gesellschaftsstreifen "Angst macht mobil" klärt darüber auf, daß die 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete "Vereinigung der Ärzte zur Verhinderung des Atomkrieges" wie überhaupt "viele Prominente" letztlich "auf Anregungen aus Moskau reagieren"(Prospekt).

In Spezialfällen gibt es noch ein Extra aus dem Staatshaushalt. Der Alt-Agitator Helmut Bärwald zum Beispiel, Mitglied "seit anno Tobak", wie ein Vereinskamerad berichtet, erhielt 1983 für sein Buch "Mißbrauchte Friedenssehnsucht" 12 000 Mark Honorar vom Bundesinnenministerium, dazu noch eine stattliche Summe vom Verlag, weil das Ministerium obendrein fast die gesamte Auflage aufkaufte. Über den Aufkauf von Druckwerken protegiert auch die PSV genehme Gesinnung. "Es gibt eine Reihe von Verlagen, mit denen wir zusammenarbeiten", räumt PSV-Chef Hoffmann ein.

Flaggschiff solcher PSV-Bemühungen sind die "Beiträge zur Konfliktforschung" aus dem Kölner Markus-Verlag, in deren Beirat neben dem Kölner Soziologen Erwin K. Scheuch auch PSV-Manager Buchbender sitzt. Die PSV nimmt den Großteil der Auflage ab. Das Organ, vor allem an Wissenschaftler gerichtet, hat sich in den letzten Jahren mit eigenwilligen Beiträgen am bundesdeutschen Historikerstreit beteiligt. Kritische Forscher im Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg wurden scharf attackiert. Breiten Raum erhielten neokonservative Geschichtsinterpreten, die den Krieg Hitlers gegen die Sowjet-Union in einen Präventivschlag gegen einen bevorstehenden Einfall der Roten Armee umzudeuten versuchen. Mit solchen Thesen, notierte einer der angegriffenen Freiburger Historiker, "werden die Nazis gar zu Rettern des europäischen Abendlandes vor dem Bolschewismus hochstilisiert".

Die Ausfälle sind erwünscht. Einer der vehementesten Vertreter der These vom Präventivschlag, der Grazer Philosoph Ernst Topitsch, der den Zweiten Weltkrieg überhaupt "als Angriff der Sowjetunion gegen die großen Demokratien" begreift, wurde im letzten Jahr in die PSV-Akademie geladen, um über "Werthaltungen und sicherheitspolitische Konzeptionen" zu referieren. Unter gleicher Bonner Adresse wie die Studiengesellschaft residiert auch eine "Deutsche Gesellschaft für Sozialbeziehungen e.V.", die Mitglieder sind zum Teil identisch. Der Verein, von PSV und Familienministerium gemeinsam finanziert, sucht seit Anfang der sechziger Jahre die Rückwanderungsquote geflüchteter DDR-Soldaten und -Polizisten niedrig zu halten. Ganz nebenbei erfährt die Psychologische Verteidigung von den bislang 2197 betreuten Flüchtlingen Details über die gegnerischen Streitkräfte, die sich im Ernstfall an der Front nutzen lassen.

Der Verein, als gemeinnützig anerkannt, "damit er Spendenquittungen ausstellen kann", so Mitglied Buchbender, büßte Prestige ein, als einer seiner führenden Mitstreiter, der Fregattenkapitän Wilhelm Reichenburg, vom Bayerischen Obersten Landesgericht 1985 als "gefährlicher Spion" der DDR zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Der Kapitän, PSV-Mann seit 1963 und im Wehrpolitischen Arbeitskreis der CSU tätig, hatte scharfmacherische Töne so perfekt beherrscht, daß er in diesen Kreisen nur angenehm aufgefallen war.

Buchbender selbst fiel unlängst einer Enttarnung anderer Art zum Opfer, als er versuchte, der PSV ein weiteres Betätigungsfeld zu erschließen. Drei Semester lang hatte sich der Hardthöhen-Mann nebenberuflich als Dozent am Münsteraner Institut für Publizistik verwirklicht. Die Tätigkeit endete jäh, als dort auffiel, daß die im Vorlesungsverzeichnis als Regierungsdirektor ("Reg. Dir.") aus Köln geführte Lehrkraft in Wahrheit vom Bonner Verteidigungsministerium kam. Zusätzlicher Aufruhr entstand, weil der Institutsdirektor gemeinsam mit seinem Dozenten für ein Forschungsprojekt über "Glasnost und Perestroika im sowjetischen Fernsehen" eine getarnte Finanzierung aus dem Verteidigungshaushalt arrangiert hatte. Um 70 000 Mark an das Institut zu lenken, gründete die Hardthöhe eigens eine "Arbeitsgemeinschaft für Medienauswertung" - eine Briefkastenfirma mit Konto unter falscher Adresse. Als Leiter sprang der Geschäftsführer der "Studiengesellschaft für Zeitprobleme" ein.

Die Transaktion flog auf, das "Dienstleistungsorgan" (Wimmer) wurde eilig aufgelöst. Das Ministerium zahlt nun ohne Umweg ans Institut. Doch Pannen dieser Art können psychologische Verteidiger nicht verdrießen. Die Erschließung neuer Zielgruppen für "kommunikative Einflußnahme" (Hoffmann) durch Spezialisten der Streitkräfte heiligt manches Mittel.

Für dieses große Ziel, findet auch PSV-Oberst Matzeit, müßte die Akademie eigentlich in jedem Bundesland "flächendeckend" tätig werden. Schließlich sei noch unendlich viel zu tun, um alle Skeptiker "durch Information" vom segensreichen Wirken der Bundeswehr zu überzeugen und "Wachsamkeit an den Mann zu bringen". Große Bevölkerungsteile sind noch nicht wachsam genug - die Frauen etwa. Dem weiblichen Umfeld der Soldaten, findet der PSV-Pensionär, müßte sich die Bundeswehr dringend "vertrauensbildend nähern" und "zu schönen Informationsnachmittagen auf Staatskosten in gute Hotels" einladen. "Die Mütter und Bräute", schwärmt Matzeit, "das wäre eine neue Zielgruppe, an die wir ran müßten."

Bilder: Bundesministerium der Verteidigung / Zentrum Operative Information / http://www.opinfo.bundeswehr.de/


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