Der Heimleuchter

Freudig blickt CDU-Generalsekretär Peter Hintze auf das Wahljahr 1998. Der Feind ist klar, die Reihen fest geschlossen

1998 
von Tom Schimmeck 

Schach“, sagt der Generalsekretär, „Politik hat ungeheuer viel mit Schach gemeinsam.“ Er richtet sich auf, versucht ein gewitztes Lächeln. „Es kommt darauf an, welche Felder man kontrolliert. Und alle können sehen, was auf dem Brett los ist.“

Was für ein Spiel. Nun, zu Beginn des großen Wahlkampfjahres, kontrolliert CDU-Parteimanger Peter Hintze, ob seine Figuren richtig stehen. Er wirkt zufrieden. Die Strategie scheint klar, die Schlagwörter sind durchprobiert. 

Ja, er strahlt Vorfreude aus. Die Wahlkämpfe 1987 und 1994, bekennt der Partei-Manager rückblickend, seien für die CDU „schwierig“ gewesen, müde Weiter-So-Kampagnen, bei den die Partei „kein eigenes Thema“ gefunden. Besonders 1994, im Duell mit SPD-Herausforderer Rudolf Scharping, habe man „große Schwierigkeiten“ gehabt. Der sei, erklärt Hintze ganz ohne Ironie, durchaus „gefährlich“ gewesen – „gerade weil er eine ungeheure Langeweile ausstrahlte“.

Doch der nächste Wahlkampf, glaubt Hintze, werde ganz anders. 1998 sei wieder ein „historischer Rahmen“ da: Europa plus Geld plus Zukunft – „wunderschöne Themen“, so schwärmt er, „die sich auch sehr gut mit Kohl verbinden lassen“. Da kann der Kanzler wieder, wie 1990, tüchtig den Mantel der Geschichte flattern lassen. Die europäische Vision, die globale Herausforderung, das nächste Jahrtausend. Und Kohl mittendrin, auf allen Gipfeln, auf allen Kanälen. 

Zunächst aber steht im Frühjahr der Landtagswahlkampf in Niedersachen an, wo Gerhard Schröder – da wettet Hintze „jede Summe“ – niedergeht. „Wir rechnen fest mit Lafontaine, weil Schröder in Niedersachen die Latte reißt. Und den hatten wir schon mal.“ 

Gleich darauf  folgt Sachsen-Anhalt – ein idealer Anlaß, die Rote-Socken-Melodie zu intonieren. Zwar hat Kohl seinen Ost-CDUlern unlängst versprochen, dieses Accessoire nicht wieder hervorzuholen. Doch „der Grundsachverhalt“, sagt Hintze, habe sich „nicht verändert und das wird auch im Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen“. Das Stichwort heißt jetzt: „Linksbündnis“, oder, wie Hintze gerne sagt: „die rot-grün-dunkelrote Koalition“.

Zur roten Socke hat der Generalsekretär ein besonders inniges Verhältnis. Er sieht sie als Retterin der letzten Bundestagswahl. Daß sich plötzlich eine rot-grüne Koalition inMagdeburg von der PDS tolerieren ließ, war in Hintzes Augen ein wunderbarer „Fehltritt“: „Das ist uns zugefallen. Da sind wir voll draufgegangen.“ . 

Wenn man in der CDU-Chefetage aus dem Fahrstuhl tritt, springt einen noch immer das riesengroße Plakat von damals an: Die knallroten Fußwärmern auf der Wäscheleine mit dem Spruch „Auf in die Zukunft…aber nicht auf roten Socken“. Die Idee hatte Hintze so „voll elektrisiert“, daß er vorsichtshalber nicht einmal seinen Helmut Kohl fragte. Warum? „Er haßt Mätzchen.“ 

Was für ein Spiel. Natürlich hat Hintze die grauen Panther des Ostens nie wirklich gefürchtet. Es steht eine kühle Rechnung dahinter: Wieviele vergraule ich im Osten, wieviele kriege ich im Westen dazu? An der PDS, diesem „Konzentrat der alten SED“, kann er sich warmboxen. Und in Wirklichkeit die SPD teffen, die Urangst vor der roten Gefahr reaktivieren. Getreu dem alten CDU-Slogan von 1976, aus der Ära Biedenkopf: „Freiheit statt Sozialismus“

Da läuft sein Floskelgenerator heiß. Da kommt jener CDU-General zum Vorschein, den man aus dem Fernsehen kennt: Der haspelnde  Hintze, der die Wörter ohne Punkt und Komma heraustößt, wohl fürchtend, gleich werde irgendjemand ihn unterbrechen. Ein emsiger Exorzist, der sich berufen fühlt, es der ganzen „linksoppositionellen Bruderschaft“ zu zeigen, all den Blockierern und Neidern, Bevormundern und Verweigerern, diesen Sozialschmarotzern, Gesamtschullehrern und Verrätern der deutschen Einheit. 

Diesem Günter Grass etwa, der die deutschen Asylpraxis öffentlich zu kritisieren wagte. Der Dichter, schimpft Hintze, habe „das liberalste Ausländerrecht Europas mit einem Drittes-Reich-Vergleich runtergesaut“ Das sei einer, der gegen die Wiedervereinigung war, der „jetzt überlegt, wie man den Grünen mit ans Ruder helfen kann“ und auch „in Erfurt mit dabei“ sei – bei denen, die im großen Bündnis inklusive PDS die Kohl-Regierung stürzen wollen. Kurzum: die Fleischwerdung der roten Socke. 

Die Krux des Peter Hintze ist, daß er bei solchen Kanonaden fast komisch wirkt, zu beflissen, zu primanerhaft, so linkisch und merkwürdig überzogen. Weil keiner glaubt, daß er glaubt, was er da sagt.

Aber nein, widerspricht, Hintze, bei so einer Attacke fühle er sich „ganz authentisch oder identisch“. 

Er wäre wohl gern ein bißchen gefährlich. Doch bei dem Versuch spürt man stets einen gewissen Leistungsdruck. Bei einem guten Schauspieler sieht man nur die Rolle. Wenn er den hauptamtlichen Aggressor gibt, sucht der wohlmeinende Beobachter stets den anderen, wahren Hintze dahinter. Ist er überhaupt echt? „Sowieso“, sagt Hintze fröhlich.

Was soll er auch sagen? Noch nie hat sich in Bonn einer hingestellt und gerufen: „Jawohl, ich bin ein biegsamer, butterweicher Opportunist.“ Gerade einem Generalsekretär scheinen Selbstreflexion und Zweifel qua Amt verboten. Der Job ist eben eine Mixtur aus Management und Rollenspiel. Das Darstellerische, meint Hintze später,  sei wohl „nicht meine starke Seite“. Aber er sehe seine Aufgabe ohnehin eher darin, „den Prozeß der politischen Kommunikation zu verstehen“.

Hintze, meint Hintze, sei sich treu geblieben. Auch nach jenem 25. April 1992, der nicht nur sein 42. Geburtstag war: Helmut Kohl hatte ihn zum Generalsekretär auserkoren und zur Einzelbehandlung nach Oggersheim bestellt. Seine Alternative, glaubt Hintze, hieß damals: „Noble Peripherie oder hartes Zentrum“. Er wollte ins Zentrum. 

Da steht er nun. Sein Blick schweift aus dem 10. Stockwerk – das ist hoch in Bonn – hinüber zur SPD-Zentrale, „den Jungs von der anderen Straßenseite“, mit denen er so gern die Klinge kreuzt. Und weiter in die Ferne zum Amt des „starken Kanzlers“, des „tollen Kanzlers“, wie Kohls erster Sekretär auf Parteitagen gerne sagt, jenes Mannes „an unserer Spitze, der weltweit höchstes Ansehen genießt“.

Was für ein Spiel. Wahrlich, seine Loyalität steht außer Frage. Kein Widerwort hat es je bis zu seinen Lippen geschafft. Das langweilt und verdrießt die Beobachter. Gewiß, Journalisten goutierten den Streit, weiß Hintze, das Wahlvolk aber unterscheide nicht zwischen Partei und Regierung, das wolle Geschlossenheit, Harmonie: „Dieses Amt innezuhaben, setzt voraus, daß man mit dem Vorsitzenden politisch und menschlich kann. Und wenn man’s nicht mehr kann, muß man’s seinlassen. Das ist logisch.“

Merkwürdig nur, daß seine berühmtesten Vorgänger in diesem Job – Kurt Biedenkopf und Heiner Geissler – heute die führenden Kohlhasser der Christenunion sind. Ja, räumt er vorsichtig ein, zwischen dem Interesse, das Koalitionsganze zusammenzuhalten und dem Wunsch, das Bild der CDU schärfer zu kontourieren, gebe es schon eine „denkbare Kollision“„Die Geschichte dieses Amtes zeigt, daß das nicht immer so ganz einfach ist.“

Er wird den Teufel tun, die CDU so zu polarisieren, wie das sein einstiger Mentor Geißler getan hat. Er ist der Heimleucgter der Getreuen. Er lebt mit dem Faktum Kohl, sucht ihn gar als Mann des Aufbruchs zu stilisieren, auch wenn er dafür verdammt weit zurückgreifen muß: Bis ins Jahr 1971, als der Studentenführer Hintze vom RCDS auf einem CDU-Parteitag in Saarbrücken erschien, um, wie er sich immer wieder gern erinnert, „an der richtigen Stelle zu jubeln“ – für einen jungen Putschisten namens Kohl. Der Putsch ging schief. Heiner Geißer, damals Kohls bester Kumpel, kam an seinen Tisch und deklamierte: „Wir kommen wieder.“ Kohl kam mit Macht, Hintze blieb ihm treu: „Die Sachen, die wir mit ihm verbunden haben“, sagt er ganz blond und blauäugig, „hat er auch eingelöst.“

Doch auch ein Hintze will nicht nur als der Mann in die Parteigeschichte eingehen, der dem Kanzler das Mineralwasser nachgeschenkt hat, will mehr sein als his masters voice. Er hat Ehrgeiz. Er sieht sich nicht nur als fröhlichen Diener im Weinberg des Herrn Kohl, eher schon, ganz vorsichtig, als eine Art intellektuelles Ergänzungsstück. Kohl, sagt Hintze, habe sich „nie kleine Kohls gesucht“.

Als Macher, sagen Kenner, sei Kohls erster Sekretär durchaus effizient. Er habe, findet einer, der die Gegenseite berät, seit seinem Antritt in der Parteizentrale „das Kohl-Rivival erfolgreich mitinszeniert“. Volker Rühe, sein Vorgänger, räumte das Adenauer-Haus nach Heiner Geißlers gescheiterter Rebellion gegen Kohl auf. Hintze brachte es wieder auf Trab. Er hat ein junges, runderneuertes Team –  „Spitzenteam“ würde Hintze sagen – das ihm, dem Hauptmaschinisten des Parteiapparates, ergeben scheint. Er tritt die Aufstände aus, zettelt Streit an, wenn es die Schlagzeilenlage erfordert. Hin und wieder hat er eine Idee, oder doch zumindest Lust, eine umzusetzen. Kurzum: Er macht seinen Job.

Sein Metier sind die Begriffe. Die werden heutzutage nicht einfach nur benutzt. Sie müssen erobert werden. Wenn man Peter Hintze mit halbgeschlossenen Augen lauscht,  meint man fähnchenschwingende Horden zu sehen, die auf der Jagd nach klingenden Worten wie Sicherheit, Freiheit oder Stabilität durch die politische Landschaft marodieren. Er redet von der „Besetzung des Zukunftsbegriffs“, von der „Besetzung des Begriffs des 21. Jahrhunderts“, von der „Besetzung des Symbols der Weltkugel“. Später sagt er, es sei „eine starke Entscheidung seiner Vorgänger“ gewesen, auch „die rote Farbe zu besetzen“.

Peter, the Conqueror. Der General der Wortgefechte. Er sitzt in seiner mausgrauen Bonner Parteizentrale und läßt sich Reden schreiben, in denen es nur so wimmelt von zu erobernden Wortbrocken: von Zukunft, Chancen und Innovation, von Einsatzfreude, Zuversicht und Leistungsbereitschaft. Besonders liebt er Kombinationen mit Spitze: Spitzenleistungen- und -technologie, Spitzenreiter, -begabungen und -produkte. 

Peter Hintze hat es gern global. Auch wenn er an der eigenen Globalisierung noch arbeiten muß. Seinbisheriger Wirkungskreis – geboren in Bad Honnef, Studium in Bonn, Pfarrer in Königswinter, Politiker in Bonn – hat einen Radius von gerade sechs Kilometern.

Natürlich, beteuert der Chefstratege, genüge es nicht, mit den schönen Wörtern zu gurgeln, sie auf Plakaten und Parteitagen, in Parlamentsdebatten und Presseerklärungen unablässig zu repetieren. Sie müßten halt „mit eigener Politik unterfüttert werden“. Zum Beispiel Sicherheit – für ihn ein „ganz starker Begriff“. „Sicherheit statt Angst“ hatte die SPD hatte im Europawahlkampf plakatiert. „Und wem sprechen die Leute den Satz heute zu? Der CDU“, frohlockt Hintze. 

Ist dieses Wortgeklingel nicht pure Schaumschlägerei? Es gäbe in der menschlichen Wahrnehmung eben „Angstträger“, erwidert Hintze, Spinnen zum Beispiel, obwohl das eigentlich nützliche Tiere seien. „In der Politik können das auch Begriffe sein“, meint er. „Wenn man die Spinnen entfernt, ist der Spinnenphobiker irgendwie erleichtert. Obwohl sich seine reale Situation nicht verändert hat. Aber er hat Ängste, mit denen er nicht fertig wird und die kann er mit dieser Spinne gleichsam aus dem Fenster schmeißen. In der Politik läuft das im übertragenden Sinne auch so.“

Was für ein Spiel. Man wirft Wörter aus dem Fenster und die Angst gleich hinterher. Was ihn daran reizt? Letztlich, meint Peter Hintze, wolle er „den Menschen den Unterschied zwischen den Kindern des Lichts und den Kindern der Finsternis deutlich machen“.
 

© Schimmeck