TOM SCHIMMECKs ARCHIV
8. Juli 2009 WDR


Mondsüchtig

von Tom Schimmeck

Gestern war Vollmond. Und alle Medienmacher prompt wie von Sinnen: Michael Jackson ein letztes Mal auf ganz großer Hollywoodbühne. Ein Supermegawahnsinns-Event. Sein letzter Moonwalk. Wow. Sein Körper, jung geprügelt, x-mal-schönheitsoperiert, x-mal obduziert, nun ein Leichnam im goldenen Sarg. Der Ruhepunkt im Zentrum einer bombastischen, globalen Kitsch-Explosion.

Vorbei der bizarre Starkult, die Pillen, der Kinderschänder-Prozess. Im Tod nun wird er zum König, zum unangefochtenen King of Pop, wie wir allüberall unablässig erinnert werden. Die Medien sacken auf die Knie, werfen sich in den Staub vor solchem Glanz. Der König ist tot, es lebe der König!

Tote bringen Quote, wissen die Fernsehfritzen: John F. Kennedy, Elvis, Diana, Johannes Paul. Und nun der „größte Star der Welt“. Der magische Moonwalker. Mausetot. Das kommt nie wieder. Schnell draufschalten. Ganz hart ranzoomen an die Tränen. Dazu, permanent und flott geschnitten, das „best of“ der Bilder, die jeder kennt. Das reizt und rührt so schön. Das sind Gefühle. Ein ganzer Ozean voller Emotionen. Jacko-Mania.

Welch ein Geschäft. Jetzt, da das tragische Talent nur noch als Bild- und Ton-Konserve existiert, läuft das Business wohl erst richtig an. Ungestört von jeder Wirklichkeit. Gigantisch.

Den Transport des Leichnams auf dem abgesperrten Highway verfolgen wir live aus der Hubschrauber. Zu Ehren von „Wacko-Jacko“ röhren Mariah Carey, Lionel Richie und Stevie Wonder um die Wette. Der goldene Sarg sieht aus wie ein bizarr geschmückter Bräter. Über eine Milliarde Menschen sind dabei. Eine „Mega-Party“, brüllt „Bild“, während Ober-Springer Mathias Döpfner ganz lyrisch zumute wird: „In ihm war Raum für jeden Traum“. „Ein Abschied der Superlative“, brummelt die „Frankfurter Allgemeine“. „Er war ein Wunderknabe, der zum König wurde, zum Gott“, stöhnt der „Spiegel“.

Die ARD bietet zur bunten Bildberichterstattung jenes Boulevardmagazin auf, dessen Name die journalistische Stoßrichtung schon im Alltag trefflich umreißt: „brisant“. Sie verschiebt die Tagesschau. Nur um kurz darauf jäh abzubrechen. Das ZDF bleibt ein bisschen länger. Bei Phoenix wird geplaudert, was das Halbwissen hergibt.

Das Privatfernsehen ist erst recht in Wallung. Ein Dauerfeuer der Superlative. „N24“ kennt stundenlang nur König Michael. Auch NTV fühlt kräftig mit. "Gut, dass Michael nicht mehr mitbekommt, dass sein Sarg einbetoniert wird", seufzt die Moderatorin ergriffen.

Online ist ohnehin der Teufel los. Alle chatten, bloggen, twittern wie die Wilden. Die User gieren nach Huldigungen und Verschwörungstheorien. Shoppen die alten Alben. Klicken auf endlose Bildstrecken. Milliardenfach.

Welch ein Rausch. Vergessen sind Banken, Putin, Schweinegrippe, das kaputte AKW Krümmel und dieser wilde Ahmadinejad. Ein Moonwalk der Medien.



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