TOM SCHIMMECKs ARCHIV
12 / 2013

Kolumne

Grün ist die Ernüchterung

Hessen vorn? "Straßenschläger und Pädos sind auf dem Altenteil, also Koalition versuchen", twittert die CDU-Zimmerflak Erika Steinbach. Der Verdauungsprozess scheint weit gediehen.

Hier und jetzt, liebe Trauergäste, heißt es Abschied nehmen von einer Jugendliebe. Wie fand ich sie toll, diese Grünen: all diese Hexen und Rauschebärte, beseelt und besessen, frauenbewegt, friedliebend und vollökologisch. Wie die dem schneidigen Helmut I. (Schmidt) einheizten. Dann dem bräsigen Helmut II. (Kohl). Das Establishment schrie Zeter & Mordio, verfiel in Schnappatmung. Vorneweg all jene Blätter, die Schwarz-grün jetzt so dringlich herbeisehnen.

Nein, wir wollen nicht in dämliche Nostalgie verfallen. Trotzdem müssen wir uns fragen: Wie zwangsläufig wird unsereins mit wachsendem Alter und Kontostand lahm und lustlos, brav und bieder? Wie unweigerlich vollautomatisch machen wir unseren lieben Frieden mit all den Gartenzwergen und Geschäftemachern, mit der herrschenden Grundstücks-, Geld- und Machtverteilung? Folgen auf riesengroße Fragen stets klitzekleinste Kompromisse? Muss man schliesslich mit den Wölfen heulen?

Bis am Ende ein Volker Bouffier kommt, diese Fleischwerdung des Blauen Bock, so grün wie Schwarzpulver, und einem attestiert, dass man "eine sehr effiziente, sehr fleißige Truppe" sei, "vertrauenswürdig" und damit "im besten Sinne bürgerlich". Aaargh. Was bleibt einem da, als sich schnell zu erschießen? Bevor der Bouffier rülpst und verdaut?

So eine Einverleibung ist eben auch eine Frage der Ästhetik. Hessens SPD-Betonfacharbeiter Holger Börner drohte dem grünen Metzgerssohn Joseph Martin Fischer wenigstens noch mit der Dachlatte, bevor er mit ihm koalierte.

Andererseits kann keiner lebenslänglich in revolutionärer Pose verharren. Weshalb Grüne nun emsig überall mittun, in Synoden, Konzernen und Consulting-Firmen, in Aufsichts-, Rundfunk- und allen sonstigen Räten. Man muss doch mitwirken, um etwas zu bewirken, oder? Nur ist da dieser böse Verdacht, dass die Wirkung andersrum viel mächtiger ist. Sprich: Dass Ämter und Institutionen den Mitwirkenden auf Dauer weit stärker prägen. Man also am Ende des langen Marsches quasi im Arsch ist.

Ich höre Ihr Seufzen, liebe Trauergemeinde.

Ach, fragen Sie jetzt, etwas verzagt: Was ist so schlimm daran, bürgerlich zu sein? Erstmal nichts, denke ich. Man soll Bürgertum nicht auf sein Versagen vor dem Faschismus reduzieren. Auch nicht auf Besitz, Dünkel und diverse Sekundärtugenden. Nicht jeder Staatsbürger fühlt wie ein Untertan. Nicht jeder Bildungsbürger ekelt sich vor dem Plebs. Abseits des neobürgerlichen Geschwätzes lässt es sich heute ganz gut Bürger sein.

Die Frage ist eher, wie heftig die privaten Interessen mit dem eigenen Ideal in Konflikt geraten. Das letzte Wahlergebnis ist hier ein Fingerzeig. Materiell sind die Grünen längst die neue FDP – eine Partei der "Besserverdienenden". Aber mit Herz und Haltung, mit Sinn fürs globale Gemeinwohl. Weshalb ihr Programm Opfer von der eigenen Klientel verlangte: Mehr Steuern auf hohe Einkommen, Kapitalerträge, Vermögen und diese albernen Geländewagen. Da ergriff manch Grünbürger mit Vollgas die Flucht.

Umso verzückter schlucken alte Erzfeinde nun die grüne Kröte. "Straßenschläger und Pädos sind auf dem Altenteil, also Koalition versuchen", twittert die CDU-Zimmerflak Erika Steinbach. Klingt nach Resteverwertung. Der Verdauungsprozess scheint weit gediehen.

Die Wölfe, liebe Trauergäste, fressen einen, bevor man mit ihnen heult.


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