TOM SCHIMMECKs ARCHIV
März 2001

Dr. med. Klon

Ein Arzt will der Welt bald den ersten Menschen-Klon bescheren: SEVERINO ANTINORI – ein ruhmsüchtiger Römer, dessen Ego kaum Grenzen kennt

D

as Irritierendste an dem Mann? Dass alles an ihm offen dazuliegen scheint. Dass er so durchsichtig wirkt wie Wasser, so offen wie ein Buch. Da steht der schicke Privat-Doktor Severino Antinori, modisch das Jackett, weiß der Schnauzer und das Haupthaar, und hebt zu seinem großen Vortrag an. Und noch während er sich in Pose wirft, meint man zu spüren, was er spürt in diesem Augenblick: ein tiefes Gefühl von Befähigung, Berechtigung und Berufung. "Man hat das oft in der Geschichte der Wissenschaft", rattert Antinori erregt: "Es gibt eine große Entdeckung, und dann wird sie zurückgewiesen, weil die Gesellschaft noch nicht bereit ist." Weil Geistliche, Regierende, all diese Zauderer und Zweifler, dazwischenfunken. Und die furchtlosen Pioniere "heftig bekämpfen". Sein Gesicht, eben noch herrisch, ist plötzlich voll kindlichen Trotzes.

Nein, so richtig bereit ist die Welt wahrlich nicht für Dr. Antinori und seine Klon-Kumpane, die nun "so schnell wie möglich" den ersten Menschen auf die Welt befördern wollen, der eine identische Kopie seines Gen-Spenders darstellt. Das wird, meint Antinori, wohl der Vater sein. Denn er hat schon mit vielen Patienten darüber gesprochen und festgestellt, dass die Herren viel eigener mit ihrem Erbgut sind als die Damen.

Es ist eine Art Genom-Machismo: Während das Gros der Frauen kein Problem mit der Eizelle einer anderen hat, schüttelt sich die Mehrzahl der Väter in seiner florierenden Fortpflanzungs-Praxis bei der Vorstellung, bei der Herstellung des eigenen Nachwuchses könnte fremder Samen ins Spiel kommen. Da wollen sie sich lieber durch Klonen perpetuieren. Antinori, der kleine stolze Römer, hat verstanden. "Paare fragen heute nach Klonen, wenn die Unfruchtbarkeit den Mann betrifft." So wird Klonen für ihn eine Waffe im Kampf um sein Lebensziel, "die männliche Sterilität zu besiegen".
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Aber die Welt versteht ihn nicht. Sie ist vielmehr ziemlich entsetzt und, wenn sie genauer hinschaut, auch ein bisschen amüsiert. Denn die Szene, die sich da am vergangenen Freitag im zerschrammten Hörsaal der Gynäkologie-Abteilung der Poliklinik zu Rom abspielt, ist nicht nur verstörend, sondern vor allem absurd: Man hat die Uniklinik gewählt, um die Wissenschaftlichkeit des Unterfangens herauszustreichen. Doch nur eine Hand voll Wissenschaftler erscheint zum Workshop "Human and therapeutic cloning". Die Bänke sind mit Journalisten gefüllt, herbeigeströmt von Kalifornien bis Japan, um sich einen Reim auf Antinori & Co zu machen. Das schmeichelt den Herren, zugleich macht es sie sichtlich nervös. Am Rand des Saales lauschen ein paar junge Ärzte aus dem Haus, fassungslos über die entfesselten Fortpflanzungs-Medizinmänner, die da am Pult ihre Show abziehen. Sie haben andere Sorgen, elementare: lange Schichten, karge Gehälter. Vor nicht allzu langer Zeit waren Teile der Klinik geschlossen, weil Mäuse auf dem OP-Tisch tanzten. Die Spannung wächst.
VITA
SEVERINO ANTINORI wurde am 6. September 1945 in Civitella del Tronto in den italienischen Abruzzen geboren. Schon als Kind half er einem Tierarzt bei der Besamung von Rindern. Als MEDIZINSTUDENT spezialisierte er sich bald im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe und nahm an zahllosen Kongressen teil. Antinori arbeitete als Arzt in diversen italienischen Kliniken und lehrt seit 1993 auch als UNIVERSITÄTSPROFESSOR. 1986 vermeldete er die erste Geburt eines durch künstliche Befruchtung gezeugten Babys.
Antinori beteiligte sich an der Entwicklung neuer IN-VITRO-TECHNIKEN wie SUZI (Subzonale Insemination) und ICSI (Intrazytoplasmische Spermainjektion) und gründete 1987 sein REPRODUKTIONS-INSTITUT RAPRUI. Seit 1989 verhilft der umstrittene Arzt auch Frauen in der Menopause durch Hormonbehandlung und Eispenden zu Schwangerschaften und Geburten. Per Kaiserschnitt produzierte Antinori an der Jahrtausendwende mehrere "Millennium-Babys". Im Januar 2001 kündigte er an, bald den ersten Menschen zu klonen. Antinori ist mit einer Biologin verheiratet und hat zwei Kinder.

Schließlich tritt einer der jungen Weißkittel vor, um ein Statement des gerade in China weilenden Institutsdirektors Ermelando Cosmi vorzutragen, der sich aufs Schärfste von dem Workshop distanziert. Antinoris Blutdruck steigt sichtlich. Er bellt Verwünschungen. Nur die schwere Pranke eines Helfers hält ihn davon ab, über den Tisch zu springen. Eine Grüne schimpft gegenan. Und der alte Richard Seed, ein Harvard-Boy, der seit Jahren so großspurig wie folgenlos Menschen-Experimente ankündigt, schiebt seine große, gebeugte Gestalt ins Getümmel, um mit heiserer Stimme zu brüllen: "Ich klone meine Frau!" Ein Tollhaus.

Es ist ein Putsch von Göttern in Weiß. Man hätte wohl ahnen können, dass nicht schüchterne Biologen, sondern besonders forsche Doktoren als Erste die finale Anmaßung wagen werden: die Schöpfung von Menschen. Fortpflanzungsmedizinern, stets von einer Welle der Patientendankbarkeit getragen, fällt es gewiss leichter, sich über Gesetze, Bestimmungen und Konventionen zu erheben, die das Menschen-Klonen bislang verbieten. Sie sehen sich als Anwälte des Lebens. Es gebe, erklärt Severino Antinori resolut, ein "absolutes Menschenrecht auf Nachkommen". Zudem sind die Herren der Schöpfung wendige Gesundheitsunternehmer, meist für die besseren, zahlungskräftigen Kreise tätig. Antinori etwa beschreibt in seinem Buch "Come vincere la sterilità", wie glücklich es ihn stimmte, dem schwerreichen Saudi Youssef Y., der in Cannes das britische Fotomodel Elisabeth M. kennen gelernt hatte, bei der Produktion des erwünschten Kindes zu helfen. Sein engster Bruder im Geiste, Panayiotis Zavos, ein griechisch stämmiger Fortpflanzungsdoktor, der seinen Blick gern frömmelnd himmelwärts hebt, schwenkt seinen Glaskolben in Lexington, Kentucky, und verkauft Accessoires für künstliche Befruchtungen in alle Welt.

Am entschlossensten aber wirkt der Dritte im Bunde: Dr. Avi Ben-Abraham. Einst war er Präsident der US-Kryoniker - jener Futuristen, die sich nach dem Exitus in der Hoffnung tiefkühlen lassen, in moderneren Zeiten wieder erweckt zu werden. Der Biotech-Unternehmer, jetzt in Israel ansässig, engagiert sich auch in der rechten Likud-Partei.

Voll Pathos beruft sich Ben-Abraham auf die Sehnsucht der Unfruchtbaren, auf "Millionen von Menschen, die an unheilbaren Krankheiten leiden, die Stammzellentherapie brauchen oder starben, während sie auf ein Organ zur Transplantation warteten". Auch das Prickeln des Pioniers gesteht er offen ein: "Es gibt nichts Aufregenderes, Herausfordernderes und Mächtigeres als das therapeutische Klonen von Menschen."

Das geheimnisvolle Konsortium mit den "unbegrenzten Mitteln" lobt sich in Rom gegenseitig, redet, stolz auf seinen Wagemut, viel von "Meilensteinen" und "menschlichem Schicksal". Einige Workshop-Teilnehmer haben Kleinbildkameras dabei, um sich beim Schritt über die Schwelle zum Klonen selbst abzulichten. Nur Deutschland und Japan würden beim Klonen, dieser "großen Chance der Menschheit", wohl abseits stehen, spottet Antinori: "Deutschland hat schreckliche Experimente im Zweiten Weltkrieg gemacht und deshalb ein Schuldgefühl. Und Japan hat ein psychologisches Problem."
FREUNDE

PANAYIOTIS ZAVOS
US-Fortpflanzungsmediziner
Glaubt, dass die Welt bei Antinori und ihm "in guten Händen" ist

AVI BEN-ABRAHAM
Biotech-Unternehmer, Likud-Politiker
Schwärmt von der "gottgegebenen Intelligenz" seiner Kloner-Truppe

RICHARD G. SEED
Chicagoer Arzt und Möchtegern-Kloner
Beneidet private Fruchtbarkeitsärzte, die "auf niemanden hören müssen"

GEGNER

MICHAEL R. SOULES
US-Society for Reproductive Medicine
Betrachtet Antinori und Freunde als "medizinische Cowboys"

IAN WILMUT
Schöpfer von Klon-Schaf Dolly
Prophezeit den "kriminell unverantwortlichen" Klonern Fehlschläge

GIUSEPPE DEL BARONE
Chef der italienischen Ärztekammer
Droht Doktor Antinori mit Entzug seiner ärztlichen Zulassung

Wer soll sie stoppen, die noblen Gen-Guerilleros? Groß ist die Welt. Und die Rechtslage ein Flickenteppich voller Löcher. China, Indien, viele Staaten in Afrika, Lateinamerika und Zentralasien sind ohne Klon-Reglement. Auch in Europa und den USA klaffen große Lücken. Israel, munkelte man, könne der Klon-Standort sein. Zumal Ben-Abraham laut darüber philosophierte, dass "Judaismus und Islam sehr viel akzeptierender" seien. Die israelische Regierung hat energisch dementiert. "Dies ist ein Hightech-Unterfangen", schnarrt Zavos auf die gute Frage, welche Macht auf Erden denn ihr Tun kontrollieren werde. "Wir haben nicht die Absicht, Bürokraten dabeizuhaben, wenn wir sie nicht brauchen."

Wer kann schon kontrollieren, was in den vielen privaten Fortpflanzungskliniken vonstatten geht? Eine Umfrage des Weltverbandes privater Fruchtbarkeitskliniken, dem etwa 120 Zentren angehören, hat ergeben, dass drei Viertel der Institute Klonen in bestimmten Fällen für geboten hielten und anbieten würden, sobald "die Technik etabliert ist". 24 Prozent glauben, sie könnten es wohl jetzt schon. Womöglich, mutmaßt Zavos, "laufen da draußen schon einige Klone herum" - entstanden in klandestinen Labors. Oder einfach per Zufall. Schon ein kleiner Fehler bei der In-vitro-Fertilisation könne einen Klon hervorbringen, meint Zavos. "So simpel ist das."

Ganz simpel. Von Ethik reden die Herren ohnehin nicht gern. "Dafür sind wir nicht hier", sagt Antinori. Die scharfe Kritik der Experten, die vor schlimmen Deformationen und Risiken für die Leihmütter warnen, suchen sie schnell zu entkräften. Dank ihrer enormen Erfahrung, sagen die Fortpflanzer, würden sie weniger Fehlschläge erleiden und auch nicht 277 Versuche brauchen wie bei Dolly. Man habe 23 Jahre Erfahrung mit künstlicher Befruchtung, ernte etwa 5 bis 10 Millionen Eizellen pro Jahr und produziere rund 200. 000 Kinder. "Wir", sagen sie, "haben eine andere Technik."

Antinori, den Italiens Presse gern den "Papa der unmöglichen Kinder" nennt, gilt längst als kritikresistent. Spätestens, seit er 1994 einer 62-Jährigen mit Hormongaben und gespendeten Eizellen Schwangerschaft und Kind bescherte. Der Vatikan, nur ein Vaterunser von seiner Praxis in der Via Properzio entfernt, verfolgt sein Treiben mit Missbehagen.

Schon vergangenes Jahr drohte Antinori, nach Malta oder Zypern zu gehen, "falls ich meine Forschung in Italien nicht fortsetzen kann". Nun redet er, als gälte es, den letzten Zweifel fortzujagen: "Wir können es jetzt und wir werden darum gebeten", sagt Antinori, "also machen wir es."


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